Sekundäre Folgen der Rechenschwäche
Bauchweh, Tränen und Schulangst
Wenn Kinder sich lange Zeit mit mathematischen Problemen herumschlagen, viel üben und doch immer wieder scheitern,
hat das oft schlimme Auswirkungen, die weit über den Mathematikunterricht hinaus reichen.
Rechenschwäche
ist zwar keine Krankheit – kann aber krank machen.
Viele Beratungsgespräche beginnen bei uns mit einem Anruf der besorgten Eltern:
Mathe sei schon immer ein ungeliebtes Fach gewesen. Aber in letzter Zeit komme das Kind gar nicht mehr zurecht.
Die Hausaufgaben dauern ewig und es gebe dauernd Streit deswegen. Es schreibe schlechte Noten, habe Bauchweh vor den Klassenarbeiten
und verliere langsam allgemein die Lust am Lernen. Man wisse in Bezug auf Mathe allmählich gar nicht mehr, was man noch tun solle.
Der Teufelskreis Rechenschwäche
Solche Geschichten haben wir schon oft gehört. Und wir kennen ihre Logik.
Anhaltende Misserfolgserlebnisse im Fach Mathematik, bedingt durch eine
Dyskalkulie,
schlagen sich auf Dauer auf die Seele des Kindes nieder.
Der Einsatz von Zeit und Mühe, der ohne Erfolge bleibt, frustriert. Die Lust auf das Rechnenlernen schwindet.
Das ist gut verständlich. Wer hat schon Spaß an etwas, was er nicht beherrscht? Das Kind versucht also,
mathematischen Anforderungen auszuweichen, es vermeidet die Beschäftigung mit Zahlen, Rechnen und alltäglichen Mathe-Themen
wie Geld und Zeit. Und so wird der Rückstand hinter den Mitschülern immer größer, die Defizite weiten sich aus.
Und verschlimmern die Situation weiter – ein Teufelskreis aus Mathefrust, Selbstzweifeln und immer größer werdenden
Verständnisproblemen.
Emotionale Probleme
Oft bleibt es leider nicht allein bei einer Abneigung gegen das Fach.
Wenn viel Mühe zu nichts führt und schließlich alles Üben sinnlos erscheint,
kommen oft Zweifel an den eigenen Fähigkeiten auf. Das Kind glaubt, dass es Mathe einfach nicht könne.
Und schnell geht der Verdacht gegen die ganze Person: „Ich glaube, ich bin ein Mathe-Versager.“
Ungewollt werden solche Etikettierungen von Eltern und Lehrern vorgenommen:
„Für Mathematik ist der Junge nicht begabt. Er ist mehr der sportliche Typ.“ – und schon ist aus
fehlenden Fertigkeiten ein Charakterurteil geworden. Auch Mitschüler können unbedacht mit abwertenden Kommentaren einen Beitrag dazu leisten.
Und kaum ein Kind bleibt auf Dauer gelassen und entspannt,
wenn es sich für einen Versager hält. Traurigkeit, Lustlosigkeit und Angst können da ebenso die Folge sein,
wie Gereiztheit, Nervosität und Trotzigkeit bis hin zu Agressivität. Im Gespräch mit Eltern wird oft klar:
Die vermeintliche Konzentrationsschwäche oder Hyperaktivität tritt vor allem bei den Mathematik-Hausaufgaben auf.
Psychische Probleme
Weiten sich die Probleme aus oder halten sie über lange Zeit an, so können sie sich regelrecht zu psychischen
Krankheitsbildern auswachsen. In den vielen Jahren unserer Tätigkeit hatten wir mit Kindern zu tun, die manifeste
Schulangst hatten. Die sich in sich zurückzogen und die Diagnose „Depression im Kindesalter“ gestellt bekamen.
Es gab Kinder, die in Situationen der schulischen Überforderung Tics entwickelten. Kinder, die in der dritten Klasse
wieder zu Bettnässern wurden. Es gab sogar Jugendliche mit Selbstmordgedanken. In solchen Fällen muss natürlich
professionelle ärztliche Hilfe angestrebt werden. Hier kann eine
Rechenschwäche-Therapie
nur eine begleitende,
unterstützende Maßnahme sein. Doch halten wir eins für wichtig: Wenn die Ursache psychischer Probleme
Schwierigkeiten im mathematischen Leistungsbereich sind, darf dies bei der
Hilfestellung
nicht außer Acht gelassen werden, eine genauere
Diagnose
der
Rechenschwierigkeiten
sollte zu gegebener Zeit erfolgen.
Soziale Probleme
Häufig erzählen uns verzweifelte Eltern, dass die Schwierigkeiten des Kindes im Fach Mathematik
sich auf die ganze Familie auswirken. Nicht nur, dass es bei den Hausaufgaben Spannungen, Streit und Tränen gebe.
Die Sorge über die Zukunft des Kindes führe nun zu allgemein bedrückter Stimmung, die Leichtigkeit
im Umgang miteinander sei plötzlich verschwunden. Streit und Uneinigkeit zwischen den Eltern kommen oft auf.
Während die Mutter Tag für Tag bei den Hausaufgaben die Schwierigkeiten en détail erlebt, vermutet der Vater,
das Kind sei einfach faul oder die Mutter erkläre nicht gut genug. Oder ein Elternteil berichtet, dass der andere das
Üben einfach nicht sein lassen könne – obwohl das Kind dadurch doch nur noch mehr verzweifle.
Rivalität und Streit zwischen den Geschwistern ist oft Thema. Wenn die kecke kleine Schwester mit sechs
Jahren besser rechnet als der achtjährige Bruder und daraus keinen Hehl macht, schlägt das eben manchmal
auf die Geschwisterliebe nieder.
Gesundheitliche Probleme
Eine angespannte Lernsituation, emotionale Belastung, Stress und Selbstzweifel schlagen sich zuweilen in gesundheitlichen
Beeinträchtigungen nieder. Bauchweh und Kopfweh sind typische Erscheinungen bei Schulproblemen. Schlafstörungen
und morgendliche Müdigkeit stehen oft im Zusammenhang mit schulischem Stress. Ausschlag und muskuläre Verspannungen
können manchmal die Folge von schulischen Problemen sein. Wichtig ist eine gründliche ärztliche Diagnostik.
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vom 25.07.2007 |
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Heft 8 |
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